In Gedenken an Walter Fürst alias Billy 1932–2019

Billy?

«Neues bringt das Leben nicht - es sei denn neue Namen.»

Wenn man Adam und Moses mal ausser Acht lässt sowie das Korps der nicht sehr beredsamen Urväter samt Abrams unrhetorischen Nachkommen, so heissen die ersten Aphoristiker auf Erden David Salomo Hiob. Schon dieses melodramatische Trio hatte, wie mir scheint, arg mit den Diskordanzen der menschlichen Sprache zu kämpfen. Aus jeder ihrer Silben lässt sich unschwer heraushören, wie schauerlich ineffizient Jammern und Klagen eigentlich sind und wie blechhaltig selbst die höchsten und herrlichsten Töne. Töne sind Töne, Klänge sind Klänge - man kann ihnen das Klimpern kaum austreiben. Im Alten Testament ist viel zu viel Saures in den Köpfen und Töpfen - wirklich knusprig wird dort nur das Grausame gesagt. Es ist zum Verzweifeln: fast alles, was in der Bibel hochdosiert ist, hat einen Beigeschmack, der den Appetit nicht eben ermutigt - der Suppenkoch würde es als bittere Brühe bezeichnen. Selbst die besten Darsteller dieser sprachlich enorm kühnen Zeit, die hochberühmten Propheten, haben es nicht geschafft, ihrem Sermon genügend Aroma und Würze zu geben - einen Geschmack, der uns weder demütigt noch züchtigt.

Ein paar tausend Mahlzeiten später, im klassischen Griechenland, ist die Sprache geschmacklich schon weniger streng und auch begrifflich geniessbar, es wimmelt von terminologischen Leckerbissen und rhetorisch gelungenen Häppchen. Davon mal abgesehen: die alten Griechen sind steinhart im Geben. Weichmacher gibt es dort keine. Heraklit Demokrit Epikur und Zenon - das sind keine Namen, die besonders speichelhaft tönen. Aristoteles: das klingt ja, wie wenn einer die Sprache verhöhnt. Keiner dieser hochklassigen Meister redet so, dass man mit ihm Kaffee oder Tee trinken möchte. Nahezu jeder schreibende Grieche hatte damals ein paar Bonmots auf Lager, doch es betrübt uns, dass nur wenige ihrer Sprüche uns in nuce erreicht haben. Es ist offenbar typisch für klare und starke Gedanken, dass sie beinah jedes wichtige Meeting versäumen.

In keiner Sprache der Welt lässt es sich kostengünstiger denken als im scheinbar opulenten Latein. Namen wie Cato Cicero Caesar haben sich Zutritt zu beinah jedem Hirn der Menschheit verschafft - sie stehn dort wie eingemeisselt, obwohl sich heute nur Rüpel und Räuber ähnlich radikal ausdrücken. Nomen est Omen - nie wurde das eigentlich Selbstverständliche so stolz und so eiskalt gesagt. „Alea iacta est”. Na ja, was denn wohl sonst? Wer wird deshalb die Augen aufreissen, die Hände verwerfen oder seine Pantoffeln vergessen?

Man sieht man hört man spürt es: grosse Namen sind keine Gewähr für die Verwendbarkeit ihrer Träger - je grösser der Name, umso kleiner ist die Distanz zum nächsten menschlichen Fehler und umso schneller nähert sich das traurige Ende des Films. Seit die Welt sich regt und bewegt, beginnen Karrieren mit der Karriere des Namens. Karriere heisst Karrenweg oder Steinbruch. Über das Steinerne und Brüchige und Karrenhafte seines Namens hat sich schon mancher fluchend und seufzend, aber stets vergeblich beschwert - kein grosser Name ist seinem Träger jemals ebenbürtig gewesen. Seit es Karrieren gibt, gibt es zum richtigen Namen jeweils den genau richtigen Hieb. Namen sind blitzschnell verunglimpft und gleichsam am Boden zerstört - wir haben es anhand ausgesuchter Beispiele soeben bewiesen. Der Weg zum Ruhm ist melodisch keineswegs einfach. Ob du Gott sagst oder Götter: es ist der Tonfall, der das Wort heiligt oder verteufelt oder was weiss ich. Kleider machen den Menschen, doch der Klang unseres Namens macht uns so, wie wir keinesfalls sind - das lässt sich weder abwenden noch umkehren. Welcher Mensch hat schon einen Namen, der nicht völlig grundlos scheppert klappert knallt oder klimpert?

Seit der Bestückung der Welt mit übermütigen Generationen benutzt der Mensch mehrstöckige Namen, beispielsweise Quintus Minimus oder Marcus Porcius Cato, und er bewohnt, seinem Namen entsprechend, entweder ein Wohnsilo oder ein Schloss oder vier bis zwölf Wände mit einem Kellergeschoss. Mehrstöckigkeit ist in unterschiedlichen Formen zu haben, es fehlt den Namenschöpfern wahrlich nicht am Sinn fürs praktisch Unmögliche. Mit ein bisschen Kakophonie und dem passenden Wortverstärker, sei's Rang Funktion Amt oder Titel, lässt sich ein Name beinah himmelhoch aufrichten. Namen waren schon immer ideologisch wesentlich höher entwickelt als die Personen, die den Namen herumtrugen - was der Wirklichkeit nicht besonders gefällt. Wer sich zu clever etikettiert, riskiert naturgemäss die entsprechenden Unfälle.

Kritisch wird die Sache aber erst, wenn unser Name sich selbstständig macht und den Vorsitz führt über unsre Gedanken. Gedanken sind stimmungsmässig zwar mit dem Hochadel verwandt, doch sie möchten es um alles in der Welt nicht öffentlich zugeben. Gedanken haben es schwer, nicht zur Floskel zu werden. Floskeln sind unentbehrlich im gesellschaftlichen Marketing. Floskeln sind gern gesehn, sie laufen mit dir bis ans Ende der Welt und wenn nötig auch einen Schritt weiter. Doch im Namen eines denkfähigen Menschen haben sie nichts, aber auch gar nichts zu suchen. Aphoristiker, die was auf sich halten, sollten nicht Graf Friedrich Wilhelm von Rabenfels-Hohenstein heissen, Franz Josef Seydelmayer jun. oder Yolanda Maria Müller-Pechsteiner.

Leider ist die Realität zu oft unsorgfältig vertont worden. Als feinadriger Leser wünscht man sich, Georg Christoph Lichtenberg, Friedrich Nietzsche und Marie von Ebner-Eschenbach hätten sich rechtzeitig nach einem Namen umgesehen, der sie kompetenter umschreibt und lieblicher klingelt. Johann Wolfgang von Goethe ist nicht bloss um zweieinhalb Vornamen zu gross, er glänzt auch durch zwei völlig überflüssige Buchstaben. Man merke: wer sich akustisch zu auffällig aufrüstet, bekommt Zoff mit sämtlichen Leisetretern sprich Barfüsslern der Welt, und das sind unglaublich viele, denn geistig lebt es sich bis heute nicht wesentlich anders als damals zur Steinzeit. Man rechne: Wie viele paläontologische Stossseufzer wären der germanischen Kultur erspart geblieben, wenn sich die deutschen Genies in der Kunst der Namensgebung ein bisschen mehr angestrengt hätten. Teutonik lässt sich nämlich durch Harmonien aufs Schönste ersetzen - ein paar demütige Klänge sind dem Profil eines Menschen niemals schädlich gewesen. Hätten die Koryphäen der Zitatindustrie bescheidener unterschrieben und im Namenszug kürzer, es wären in den kommenden zehntausend Jahren mehr Waldbäume errettet worden als durch den Berufsstolz der Förster. Für das Geltungsbedürfnis der Abendländer haben wir auf die Dauer nicht genug Holzschliff.

Wenn ihm die Sprache ein bisschen entgegenkommt, wird sich der Analphabetismus vielleicht aufrappeln, einer eigenen Karriere zu entsagen. Die Sprache gleicht auch ohne feindliche Einwirkung einem Rasen, der alle zwei Stunden beschnitten wird. Unlängst hat die Wissenschaft das Hauptproblem unserer sprachlichen Zukunft geklärt: der futuristische Satz umfasst, wenn man ihn hochjubelt, genau sieben Wörter - das ideale Wort besteht aus fünf Buchstaben - vier sind zu wenig, sechs sind lesetechnisch schon fast ein Geschwür. Zweisilbige Wörter, die mit B beginnen, ergänzt durch ein paar schmale, nicht allzu blumige Lettern, sind volkswirtschaftlich tausendmal wertvoller als irgendein Wort aus dem lexikalischen Tohuwabohu. Wer sich dieses Effekts nicht bedient, mag gross sein, hochwürdig oder wahnsinnig bedeutend - sprachlich und rhetorisch ist er kaum mehr als ein Klecks.

Wir, die das Leben kurz klein und knapp gemacht hat, danken dem hierzulande waltenden Klima, dass es uns lexikalisch gerettet hat, indem es uns wettermässig begünstigt. Hier in Mitteleuropa ist das Wetter die wahrscheinlich letzte Instanz, die uns Namenlose nicht gleich mit der Messlatte traktiert und notfallmässig vergeistigt. Meteorologen sind, wie jedermann weiss, die Grossmeister der Einsilbigkeit. Dem Wettermann genügen zwei bis drei spottbillige Wörter, um das quasi Unsagbare zu schildern, das sich hoch über unseren Köpfen zusammenbraut, wie es sich entfaltet, faktisch auswirkt und wenig später kommentarlos wieder verschwindet. Kein Wort drückt den Nimbus über unserer Zeit besser aus als das Wort Billy. „Billy” ist die Kurzfassung eines Aphorismus aus sieben sprachlich unabhängigen Wörtern: „Bill billig Unbill - bellen Bibel Babel sibyllinisch”.

Um schliesslich trotzdem die Wahrheit zu sagen: der despektierliche Name „Billy” ist nicht erfunden und niemandem gestohlen. Als Volksschullehrer wird man im mittelständischen Kulturkreis quasi über Nacht mit einem ehrlichen Namen beschenkt. Man hat mich hier im Dorf 30 Jahre lang liebevoll-ironisch und keineswegs achtungsvoll „Billy” genannt. Ehre, wem Ehre gebührt, und Achtung ist ohnehin, was mich persönlich betrifft, ein eher unerwünschtes Vergnügen. Einem Aphoristiker könnte Schlimmeres über den Weg laufen als ein nicht ganz koscherer Name. Seine Karriere läuft so oder so den Rändern entlang und befasst sich dem, was keinem von uns wirklich behagt. Es ist mir nicht schwer gefallen, mein Pseudonym zu verkraften und als Autonym gelten zu lassen.

«Grosse Namen können nur eines: besser klimpern.»